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"Unsere Produktionskapazität liegt wieder bei über 80 Prozent" – Für Karsten Bier, CEO der RECOM-Gruppe, wird der Exit aus den derzeitigen weltweiten Shutdowns darüber entscheiden, ob auf die Krise eine langanhaltende Rezession, oder ein Aufschwung erfolgt. RECOM selbst sieht sich für beides gerüstet und könnte im Krisenjahr sogar die eigenen Umsatz-Forecasts übertreffen.

Markt&Technik: Über die Produktionsstätten in Xiamen, China und Kaohsiung, Taiwan, war RECOM von Anfang an sehr nahe am Epizentrum der Corona-Pandemie dran. Wie stellt sich inzwischen aus Ihrer Sicht die Situation in Asien dar?

Karsten Bier: Nach dem Chinese-New-Year traf es ja vor allem Wuhan und die Provinz Hubei. Auf unsere Supply-Chain hatte das kaum Einfluss, weil in Wuhan und der betroffenen Provinz vor allem die Automobil-Produktion stark ist. Durch das schnelle reagieren der Zentral Regierung konnte eine Ausbreitung auf andere Landesteile verhindert werden. Wenn inzwischen von Rückkehr zur Normalität die Rede ist, dann mag das für Festlandchina gelten – in Taiwan gab es bisher kein massives Corona-Problem. Auch Korea hat bisher ein gutes Krisenmanagement gezeigt. Für Probleme sorgen inzwischen vielmehr die rigorosen, mit minimalem Vorlauf angekündigten Shutdowns auf den Philippinen, Indonesien, Vietnam, oder in Malaysia. Wir haben nach der Allokation 2017/18 ein großes Lager aufgebaut, deshalb hat uns der Lockdown in China nicht schwer getroffen.

RECOM setzt sich nun bereits seit knapp drei Monaten mit dem Thema Corona-Virus auseinander. Lässt sich dieser Zeitraum in einzelne, klar unterscheidbare Phasen unterteilen?

Als die ersten Meldungen aufkamen, etwa zwei Wochen vor dem Chinese New Year, war das erst mal ein Schock. Es folgte die Bestandsaufnahme der Situation, das Bewerten und Analysieren der zur Verfügung stehenden Informationen. China hat dann harte Entscheidungen gefällt. Phase 2 war dann der Lockdown und die sich daraus ergebenden Probleme und Herausforderungen. Phase 3 beginnt für mich mit der Ankunft der Pandemie in den westlichen Industrienationen. Erstmals trifft das Virus damit auf liberale Gesellschaftsformen, nachdem der Kampf gegen Corona davor ja von einem autokratischen System ausgefochten wurde. Österreich übernahm dann eine Vorreiterrolle und hat etwa zwei Wochen vor Deutschland die Bewegungsfreiheit seiner Bürger eingeschränkt. Uns bei RECOM hat dabei die Erfahrung aus Asien enorm geholfen, und wir haben uns bereits sehr bald mit möglichen Szenarien beschäftigt. Unabhängig davon hatten wir unsere IT-Landschaft schon seit einigen Jahren so flexibel aufgestellt, dass wir quasi von heute auf morgen vom Büro ins Homeoffice umziehen konnten. Seit Ostern läuft nun Phase 4 in der alle hoffen, dass die eingeleiteten Maßnahmen erfolgreich waren, und wir nach dem Shutdown wieder zu einer Art von Normalität, zurückkehren können.

Anfang Februar vertraten Einige die Meinung, China wäre in Bezug auf Covid-19 mittelfristig das kleinere Problem gegenüber einer globalen Pandemie. Im Rückblick scheinen sie Recht zu haben.

Ich denke diese Leute unterschätzten damals, wie gut China das Problem offenbar räumlich eingrenzen konnte. Persönlich dachte ich, da entsteht ein Flächenbrand. Aber das Gegenteil war der Fall. Autoritäre Strukturen, staatlicher Druck und eine gut ausgeprägte Selbstdisziplin, haben in China ihre Wirkung getan.

Für RECOM dürften in dieser Krise neben der Sicherheit der eigenen Mitarbeiter vor allem zwei Dinge wichtig gewesen sein: Hält die Lieferkette und wie wirkt sich die Krise auf die Kunden aus?

Die Handhabung der Lieferkette ist ein dynamischer Prozess. Jeder Stromversorgungshersteller, der seine magnetischen Komponenten nicht selbst herstellt, war von den Problemen der Lieferkette in den ersten Wochen betroffen. Inzwischen sind es einzelne Komponenten und Halbleiter, die uns Sorgen bereiten. Je länger die Probleme andauern, desto wichtiger wird der Lagerbestand! Das Problem ist dabei die V-Kurve, die von einigen vorhergesagt wird. Nach dieser Theorie, wird dem rapiden Niedergang im Shutdown, ein ebenso schneller Aufschwung nach dem Exit folgen. Tritt das ein, werden wir wieder in der Bauelemente-Allokation sein, und das unabhängig davon, wie massiv der Aufschwung sein wird. Sehen wir eine U-Kurve, die nach jetzigem Stand der Dinge wahrscheinlicher ist, wird es die Allokation nicht geben. Aufgrund der Erfahrungen aus China haben wir uns auch sehr bald damit beschäftigt, wie wir die Supply Chain zu unseren Kunden sicherstellen können, falls eines unserer Logistikzentren durch einen Shutdown unmittelbar betroffen ist. Wir haben sehr bald entsprechende Notfallpläne/-szenarien entwickelt, um im Bedarfsfall auf Knopfdruck reagieren zu können.

Welches Produktionsniveau haben Sie inzwischen wieder erreicht? Wie verläuft die Umsatzentwicklung? Können Sie Ihre Umsatzziele 2020 noch halten?

Wir haben in der Produktion inzwischen wieder über 80 Prozent erreicht. Unsere Entwickler arbeiten im Homeoffice und wenn es doch einmal notwendig ist, gehen sie ins Labor. Wenn wir unsere Aufträge betrachten, dann liegen wir aktuell über dem Vorjahr. Ich denke wir werden unser Umsatzniveau 2019 nicht nur halten, sondern nach aktueller Lage, sogar ein Wachstum erzielen. Warum? Wir beliefern Industriekunden aus allen Marktsegmenten, die wir mit einem Mix der verschiedensten Stromversorgungsvarianten und -komponenten bedienen. Aufgrund unserer Kundenstruktur sind wir nicht abhängig von einer Hand voll Großkunden, sondern profitieren von der Vielzahl an verschiedenen Kunden. Das puffert das Risiko und ist die Grundlage unseres Optimismus für die Zukunft.

Hat die aktuelle Situation auf dem Weltmarkt bereits zu Wettbewerbsverschiebungen geführt?

Natürlich gibt es Verwerfungen. Wenn etwa Indien für drei Wochen einen landesweiten Lockdown durchführt, dann bekommen Sie von dort eben nichts mehr. Aufgrund unseres globalen Setups mit unseren Produktions-, und Entwicklungsstandorten können wir regionale Risiken besser auffangen. Wer jetzt Probleme hat, wird in Zukunft sein Augenmerk vermehrt auf sein Risk-Management und den Lageraufbau legen. Ohne tiefe Taschen wird der ein oder andere es schwierig haben die Krise zu überleben, denn der schwierigste Teil steht uns noch bevor fürchte ich.

Gibt es Regelungen, Änderungen, die Sie bei RECOM in der Krise eingeführt haben, die sich so gut machen, dass sie auch nach der Krise beibehalten werden?

Wir sind global aufgestellt und können die ein, oder andere Reise nicht machen, die eigentlich anstand. Da stellt man sich natürlich die Frage, ob diese Termine wirklich alle Face-to-Face stattfinden müssen. Ich denke, wenn man mit seinen Partnern in Asien durch eine solche Krise gegangen ist, schweißt das noch mehr zusammen. Natürlich gibt es nach wie vor oft hohen Rede- und Support-Bedarf, bei einem fundierten gegenseitigen Vertrauen, denke ich lässt sich in Zukunft vieles wahrscheinlich auch per Videokonferenz klären. Ich bin auch der Überzeugung, dass wir die Möglichkeit zum Homeoffice in Zukunft noch stärker nutzen werden, als vor der Corona-Krise. Es ist gut zu wissen, dass unsere IT-Notfallpläne wie erhofft funktioniert haben. Es hat sich auch gezeigt, dass die Meetingkultur noch effizienter gestaltet werden kann.

Wir wirkt sich die Corona-Krise auf Ihre Kunden aus? Gibt es Anwenderbranchen, die besonders darunter leiden, gibt es Branchen, die eventuell sogar davon profitieren?

Wir registrierten sehr schnell einen ansteigenden Bedarf aus dem Bereich Medizintechnik. Der Bedarf ist ja nicht nur bei Beatmungsgeräten in den letzten Wochen geradezu explodiert. Da sich nicht nur langjährige Medizintechnik-Entwickler an uns wenden, haben wir uns überlegt, Samples für Entwickler in der Medizintechnik kostenlos zur Verfügung zu stellen. Das können sie mit minimalem bürokratischen Aufwand direkt über unsere Homepage machen. Wir haben diese Idee inzwischen weltweit in Europa, den USA und schließlich Asien ausgerollt. Ursprünglich wollten wir die Aktion bis Ende April laufen lassen. Aufgrund der regen Nachfrage, verlängern wird diese Aktion jetzt bis Ende Juni. In negativer Form werden wir von der Corona-Krise betroffen sein, wenn die Zulieferer der Automobil- und Automotive-Branche Ihren Backlog abgearbeitet haben und unter dieser Pandemie zu leiden beginnen. Wer in Zukunft von der Krise profitieren wird hängt davon ab, welche Technologien von den Regierungen gestützt werden. Mehr Fridays for Future und der Weg hin zu umweltschonenden Technologien oder ein ausgeprägtes Festhalten an Altbewährtem. Der Konsument wird hier eine entscheidende Rolle spielen.

RECOM übernahm im Frühjahr 2019 den italienischen Stromversorgungsspezialisten PCS. Speziell Norditalien war und ist ein Hotspot der Corona-Pandemie. Wirft Sie das bei der Integration von PCS zurück?

PCS produziert in der Krise weiter. Dort fertigen wir Produkte für die Medizin-, Mess-, und Bahntechnik und gelten als Systemrelevant. Unsere Vorstellung der Integration von PCS in die Unternehmensgruppe war bereits vor der Corona-Krise abgeschlossen. Was uns mehr Sorgen bereitet, ist die Situation der Zulieferer in Italien. Kommen die an die liquiden Mittel, um den konsequenten Lockdown, in dessen Verlauf ja die Produktion aller nicht direkt lebensrelevanten Produkte untersagt war, zu überstehen? Und reicht es dann auch noch für den Wiederaufschwung, nach der Krise. Ich bin der Überzeugung, da müssen wir zu Hilfen auf europäischer Ebene finden, die kontrollier- und messbar sind.

Die Shutdowns erfolgten sehr plötzlich. Nun gibt es zwei Exit-Möglichkeiten: Schnelle Rückkehr zu einer Form von „Normalität“, oder aber den Beginn einer tiefgehenden Rezession. Birgt die schnelle Rückkehr extreme Belastungsgefahren für die Lieferkette?

Ich bin überzeugt, dass wir definitiv in eine Rezession eintreten werden. Dass, was im Automobilbereich und bei den Zulieferern der Automobilbranche, aber natürlich auch im Konsumbereich in den letzten Wochen verloren ging, lässt sich nicht mehr aufholen. Ich erwarte, dass die Industrie in Europa erst zum Jahresende langsam wieder an Fahrt aufnimmt. Mit dem Einsetzen des Aufschwungs rechne ich erst im 1. und 2. Quartal nächsten Jahres. Wie die dann eintretende neue Realität in der Produktion, sowie in Transport und der Logistik aussehen wird, kann heute wohl noch niemand sagen.

Wollten Sie in den letzten Wochen neue Produkte vorstellen? Wird die Corona-Krise nach Ihrer Einschätzung im R&D-Bereich zu deutlichen Verzögerungen in der Industrie führen?

Bezogen auf große Unternehmen und Forschungseinrichtungen mag das zutreffen. Auch wir mussten einige Releases verschieben. Allerdings ist die Produktpipeline voll und wird in den nächsten Monaten mit dem Schwerpunkt auf den Herbst ausgerollte werden. Unsere Kunden können sich auf viel Neues freuen! Den Release des langerwartete 550-W-Gerät (RACM550) werden wir speziell über die Online-Schiene unterstützen. Viele Entwickler die jetzt im Homeoffice sind, haben dort mehr Zeit für kreative, neue Ideen, als unter den normalen Rahmenbedingungen ihres Jobs.

In diesem Jahr fallen Schlüsselmessen der Leistungselektronikbranche, wie die APEC und die PCIM aus. Welchen Effekt hat das für die Branche? Rechnen Sie damit, dass die InnoTrans und die electronica im Herbst stattfinden werden?

Messen leben von der Präsenz der Besucher, vom Face-to-Face-Erlebnis. Für uns bieten Messen darum die beste Gelegenheit zur Kommunikation mit existierenden und zukünftigen Kunden. Ich denke aber einen noch größeren Impact haben die Messeabsagen für Startups. Für sie sind diese Events besonders wichtig, um sich zeigen und präsentieren zu können. Schließlich ist es ihr Ziel dort neue Firmen oder Investoren für ihre Ideen zu finden. Die InnoTrans ist bereits abgesagt und bei der electronica ist es noch offen.

Durch die Ereignisse der letzten Wochen wurde eine Diskussion über eine Rückabwicklung der Globalisierung angestoßen. Realistisch, oder eine Phantomdiskussion?

Ich halte nichts von der in diesem Zusammenhang immer wieder zitierten Globalisierung der Patrioten. Vielmehr müssen wir uns die Frage stellen, wie definieren wir Globalisierung? Ich gehe davon aus, dass Risikomanagement in Zukunft eine viel größere Bedeutung haben wird. Ganz speziell gilt das für lebenserhaltende Produkte, also etwa Arzneistoffe, Medikamente, Schutzausrüstungen. Ich sage aber auch, wenn ich High-Tech in Europa haben will, dann muss ich auch das nötige Geld dafür zur Verfügung stellen. Im Fall 5G heißt das dann eben, man muss europäischen Herstellern die Möglichkeit geben, entsprechende Lösungen zu marktgerechten Preisen entwickeln und anbieten zu können. Schlussendlich werden es die Politik und die Konsumenten mit ihrem Kaufverhalten sein, die darüber entscheiden, wo welche Produkte produziert werden.

Es gibt Befürchtungen, dass es nach der Krise zu einer Übernahmewelle durch finanzstarke Firmen und Investoren kommt. Halten Sie das für realistisch?

Diese Befürchtungen werden eintreten. Man kann das allerdings auch als Hilfe für diejenigen verbrämen, die keine so tiefen Taschen haben. Ich gebe zu, auch wir halten die Augen offen, denn wir benötigen dringend zusätzliche Entwicklungskapazitäten. Wenn sich da, nach der Corona-Krise Chancen eröffnen, werden wir sie prüfen und wenn es passt auch nutzen!

Karsten Bier, RECOM

Kommt es nach dem Ende der weltweiten Shutdowns zu einer schnellen Erholung der Märkte in Form einer V-Kurve, wird es sehr schnell wieder zu Allokationserscheinungen kommen.

Das Interview führte Engelbert Hopf