Lieber cool als tot

"RATHER BE COOL THAN DEAD." in weißen Großbuchstaben auf blauem Hintergrund
Die Temperatur kann der Feind Nummer 1 für die Lebensdauer von Stromversorgungen sein. Als Faustregel gilt, dass jede Erhöhung der Temperatur um 10°C die Lebensdauer einer Stromversorgung um die Hälfte verkürzt. Umgekehrt verdoppelt sich die Lebensdauer, wenn die Temperatur um 10°C sinkt. Daher auch der Titel dieses Artikels „Lieber cool als tot“. [1]

Arrhenius-Gleichung
Abb. 1: Arrhenius-Gleichung
Der Grund, warum die Temperatur eine so wichtige Rolle für die Lebensdauer von Stromversorgungen spielt, ist in der Arrhenius-Gleichung zu finden. Der schwedische Chemiker Svante Arrhenius entwickelte diese Gleichung im Jahr 1889, um die Beziehung zwischen der Geschwindigkeit chemischer Reaktionen und der Temperatur zu berechnen. Da viele Ausfälle elektronischer Komponenten chemischen Ursprungs sind (Korrosion, Leckströme, Diffusion, Migrationseffekte usw.), ist eine hohe Umgebungs- oder Betriebstemperatur in der Regel der aggressivste Stressfaktor, der zu einem frühen Ausfall von Stromversorgungen führt.

Alle Stromversorgungen erzeugen Wärme. Dies wird durch ihre interne Verlustleistung verursacht. Diese Verlustleistung ist abhängig vom Wirkungsgrad und der Last. Je höher der Wirkungsgrad ist, desto geringer ist die interne Verlustleistung, und je geringer die Ausgangsleistung ist, desto geringer ist auch die interne Wärmeabgabe. Folglich lässt sich die Höhe der Verlustleistung in einer Stromversorgung anhand der folgenden einfachen Gleichung ermitteln:

Abb. 2: Die interne Verlustleistung, Pdiss, ist abhängig vom Wirkungsgrad η und der Ausgangsleistung (Last)

Wenn die interne Wärme nicht abgeleitet werden kann (an die Umgebung verloren geht), kann es zu einem thermischen Durchgehen kommen, was zur Zerstörung der Stromversorgung führt. Um eine Überhitzung der Stromversorgung zu vermeiden, muss die Ausgangsleistung bei hohen Umgebungstemperaturen gedrosselt (oder reduziert) werden. Das folgende Derating-Diagramm zeigt beispielsweise, dass diese Stromversorgung bis zu einer Umgebungstemperatur von 68°C die volle Leistung erbringen kann, aber für den Betrieb bei +85°C Umgebungstemperatur auf 55% der Volllast begrenzt werden muss:

Grafik zeigt die Prozentleistung eines Geräts als Funktion der Umgebungstemperatur in Grad Celsius
Abb. 3: Berechnetes Derating-Diagramm und Beziehung zum Temperaturanstieg
Ein Derating-Diagramm gilt nur für eine bestimmte Betriebsbedingung, typischerweise Nenn-VIN und freie Luftkonvektionskühlung. Das Diagramm geht außerdem davon aus, dass der Wärmewiderstand durch natürliche Konvektion zwischen dem Gehäuse der Stromversorgung und der Umgebungsluft (θ_CA) konstant ist, so dass der interne Temperaturanstieg, Trise, direkt proportional zur Verlustleistung ist - sobald die maximale Komponententemperatur erreicht ist, müssen weitere Erhöhungen der Umgebungstemperatur durch entsprechende Reduzierungen der Ausgangsleistung ausgeglichen werden.

Wenn bei höheren Umgebungstemperaturen mehr Ausgangsleistung benötigt wird, muss die thermische Impedanz reduziert werden. Bei der forcierten Luftkühlung kann mehr Wärme von der Stromversorgung weggeleitet werden, was zu einer Reihe von Derating-Diagrammen bei unterschiedlichen Durchflussraten führt:

Graph zeigt Output Power gegenüber Umgebungstemperatur
Abb. 4: Berechnetes Derating-Diagramm mit verschiedenen Luftdurchsätzen und der Wärmeübertragungsbeziehung
Die Ableitung Q-dot ist die Wärmeübertragungsrate pro Zeiteinheit, h ist der Wärmeübertragungskoeffizient, A die Oberfläche und Trise ist der Temperaturanstieg aufgrund der internen Verlustleistung.

Bei gleichem Temperaturanstieg und gleicher Oberfläche verbessert eine Erhöhung des Luftstroms den Wärmeübergangskoeffizienten h, was zu einer Steigerung der Wärmeübertragungsrate führt. Im obigen Beispiel beginnt die Leistungsreduzierung bei +68°C für natürliche Konvektion bei freier Luft (0m/s Luftstrom), aber dieselbe Stromversorgung könnte bei +85°C mit 2m/s erzwungenem Luftstrom und über +90°C mit 3m/s erzwungenem Luftstrom die volle Leistung liefern.

Es muss erwähnt werden, dass das Derating-Diagramm ein berechnetes Ergebnis ist. Das Diagramm weist gerade Linien auf, weil die Berechnungen davon ausgehen, dass die Verlustleistung über die Ausgangslast und die Eingangsspannung konstant bleibt (was nicht stimmt) und dass die thermische Impedanz bei einem bestimmten Luftstrom konstant bleibt (was ebenfalls nicht stimmt).

Wenn das Derating nicht berechnet, sondern gemessen wird, ergibt sich eine Derating-Kurve.

Graph stellt die Spannung in Abhängigkeit von der Temperatur dar

Abb. 5: Beispiel für eine gemessene Derating-Kurve

Laboraufbau mit Geräten und einem Computer

Abb. 6: Der hauseigene Windkanal von RECOM
Die Messung der Derating-Kurve erfordert einen kalibrierten Windkanal und ein automatisches Kontrollsystem mit Echtzeit-Temperaturüberwachung. Abbildung 6 zeigt die RECOM-Einrichtung:

Der Luftstrom im Windkanal ist reguliert und laminar bis zu 0,05m/s. Das vollautomatische Kontrollsystem überwacht die Komponententemperaturen berührungslos mit einer Infrarotkamera (IR) und passt die Ausgangslast zur Überwachung der maximalen Verlustleistung in Echtzeit an (Abbildung 7). Die IR-Kamera ist über eine Ethernet-Verbindung mit dem Steuercomputer verbunden, so dass das System die Temperatur mehrerer Komponenten gleichzeitig überwachen kann, um sicherzustellen, dass keine der Komponenten ihre Grenzwerte überschreitet.

Schaltplan mit Hub, IR Cam, DUT und Computer

Abb. 7: Schematische Darstellung des automatischen Derating-Kontrollsystems und der Live-IR-Kameraübertragung.


Der Luftstrom wird stufenweise erhöht und die Temperaturen der Komponenten werden überwacht. Das System steuert automatisch die Ausgangsleistung, um alle Hotspots unter ihrer kritischen Temperatur zu halten.

Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen der Ausgangsleistung und dem Luftstrom über die Zeit
Steuerungssystem-Schnittstelle mit Anzeigen, Grafiken und Einstellungen

Abb. 8: Gestufter Luftstrom (blaue Kurve) und Ausgangsleistung (rote Kurve). GUI des Bedieners.

Der Computer protokolliert die Daten jedes Tests und berechnet dann den Wärmeübergangskoeffizienten (Temperaturanstieg pro Watt Ausgangsleistung in °C/W) bei jedem Luftstromschritt, um automatisch genaue Derating-Diagramme auf der Grundlage der Wärmekoeffizientenmessungen zu erstellen.

Thermische Derating-Kurve: Leistung vs. Temperatur

Abb. 9: Gemessene Derating-Kurven basierend auf den Windkanalmessungen

Fazit

Derating-Berechnungen sind nur so zuverlässig wie die Daten, von denen sie abgeleitet sind. Außerdem beruhen sie auf mehreren Annahmen. Daher sind Tests unter realen Bedingungen erforderlich, um präzise Parameterwerte und genaue Derating-Kurven zu erstellen.

Die Automatisierung dieses Prozesses garantiert Wiederholbarkeit und kann die Tests erheblich beschleunigen. Um beispielsweise eine Stromversorgung richtig zu charakterisieren, dauerte die manuelle Messung der Maximaltemperatur mehrerer kritischer Komponenten bei unterschiedlichen Luftstromraten mehrere Tage. Jetzt lassen sich dank automatisierter Prozesse innerhalb weniger Stunden genaue Derating-Kurven erstellen.

Wenn ein Benutzer eine Stromversorgung in rauen Betriebsbedingungen mit hohen Umgebungstemperaturen einsetzt, muss er sich darüber im Klaren sein, dass sich die Lebensdauer des Geräts erheblich verkürzt. Dennoch kann es Situationen geben, in denen die Stromversorgung bis an die Grenzen seines Betriebsbereichs belastet werden muss, ohne dabei katastrophale Ausfälle wie thermisches Durchgehen oder durchgebrannte Komponenten zu riskieren. Die Tatsache, dass die Derating-Kurve gemessen und nicht berechnet wird, schafft ein gewisses Maß an Vertrauen, da sie impliziert, dass die Stromversorgung solche extremen Ereignisse überstehen wird, ohne dabei auszufallen.

Unsere Tests haben auch gezeigt, dass verschiedene Komponenten ihre maximalen Temperaturgrenzen unter verschiedenen Betriebsbedingungen erreichen. Bei niedrigem Luftstrom könnte zum Beispiel die Temperatur des Eingangskondensators das „schwächste Glied“ sein, das die Ausgangsleistung begrenzt. Bei höheren Luftströmen jedoch erhöht die Wirbelablösung um die zylindrische Form des Kondensators die effektive Wärmeübertragungsrate und eine andere Komponente (typischerweise der Schalttransistor) erreicht ihre kritische Höchsttemperatur vor dem Kondensator. Es ist schwierig, wenn nicht fast unmöglich, solche realen Schwankungen mit Hilfe von Wärmestrommodellen genau zu simulieren. Durch den Einsatz mehrerer Hot-Spot-IR-Wärmebilder kann das RECOM-System jedoch automatisch die kritischste Komponente auswählen und diese zur Steuerung der Last verwenden.

Daher sind die Derating-Kurven für ein und dieselbe Stromversorgung unter verschiedenen Betriebsbedingungen nicht immer gleich. Für RECOM-Kunden, die sicher sein wollen, dass unsere Stromversorgungen unter extremen Bedingungen nicht über ihre Grenzen hinaus belastet werden, können wir unseren Windkanal so programmieren, dass er diese Betriebszustände nachbildet und eine klare Antwort auf die Frage „bestanden/nicht bestanden“ gibt.

[1] Falls Ihnen der Titel bekannt vorkommt: Kurt Cobain sang die Zeile "I'd rather be dead than cool" im Lied Stay Away in seinem Album Nevermind von Nirvana. Er hat natürlich beides erreicht.